26.9.07

Bundesrat beschließt Novelle des Urheberrechts

"... Der Bundesrat hat heute dem Zweiten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft zugestimmt. Der sogenannte „Zweite Korb“ der Urheberrechtsnovelle wird voraussichtlich zum 1. Januar 2008 in Kraft treten.

Mit dem Zweiten Korb wird das Urheberrecht – aufbauend auf die erste Novelle aus dem Jahr 2003 – weiter an das digitale Zeitalter und die neuen technischen Möglichkeiten angepasst. Das Gesetz bringt die Interessen der Urheber an der Wahrung und Verwertung ihres geistigen Eigentums und die Belange der Geräteindustrie, der Verbraucher und der Wissenschaft an der Nutzung der Werke in einen angemessenen Ausgleich.

Im Kern geht es um folgende Neuregelungen:

1. Erhalt der Privatkopie

Die private Kopie nicht kopiergeschützter Werke bleibt weiterhin, auch in digitaler Form, erlaubt. Das neue Recht enthält aber eine Klarstellung: Bisher war die Kopie einer offensichtlich rechtswidrig hergestellten Vorlage verboten. Dieses Verbot wird nunmehr ausdrücklich auch auf unrechtmäßig online zum Download angebotene Vorlagen ausgedehnt. Auf diese Weise wird die Nutzung illegaler Tauschbörsen klarer erfasst. In Zukunft gilt also: Wenn für den Nutzer einer Peer-to-Peer-Tauschbörse offensichtlich ist, dass es sich bei dem angebotenen Film oder Musikstück um ein rechtswidriges Angebot im Internet handelt – z. B. weil klar ist, dass kein privater Internetnutzer die Rechte zum Angebot eines aktuellen Kinofilms im Internet besitzt –, darf er keine Privatkopie davon herstellen.

Es bleibt auch bei dem Verbot, einen Kopierschutz zu knacken. Das ist durch EU-Recht zwingend vorgegeben. Die zulässige Privatkopie findet dort ihre Grenze, wo Kopierschutzmaßnahmen eingesetzt werden. Die Rechtsinhaber können ihr geistiges Eigentum durch derartige technische Maßnahmen selbst schützen. Diesen Selbstschutz darf der Gesetzgeber ihnen nicht aus der Hand nehmen. Es gibt kein „Recht auf Privatkopie“ zu Lasten des Rechtsinhabers. Dies ließe sich auch nicht aus den Grundrechten herleiten: Eine Privatkopie schafft keinen Zugang zu neuen Informationen, sondern verdoppelt lediglich die bereits bekannten.

2. Pauschalvergütung als gerechter Ausgleich für die Privatkopie

Als Ausgleich für die erlaubte Privatkopie bekommt der Urheber eine pauschale Vergütung. Sie wird auf Geräte und Speichermedien erhoben und über die Verwertungsgesellschaften an die Urheber ausgeschüttet. Privatkopie und Pauschalvergütung gehören also untrennbar zusammen. Dabei bleibt es auch. Allerdings ändert der Zweite Korb die Methode zur Bestimmung der Vergütung. Bisher waren die Vergütungssätze in einer Anlage zum Urheberrechtsgesetz gesetzlich festgelegt. Diese Liste wurde zuletzt 1985 geändert und ist veraltet. Das hat zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten über die Vergütungspflichtigkeit neuer Geräte geführt, die bis heute die Gerichte beschäftigen. Eine gesetzliche Anpassung der Vergütungssätze wäre hier keine ausreichende Lösung. Angesichts der rasanten technischen Entwicklung im digitalen Zeitalter müsste die Liste schon nach kurzer Zeit erneut geändert werden. Nach dem neuen Recht sollen daher die Beteiligten selbst, also die Verwertungsgesellschaften und die Verbände der Geräte- und Speichermedienhersteller, die Vergütung miteinander aushandeln. Für den Streitfall sind beschleunigte Schlichtungs- und Entscheidungsmechanismen vorgesehen. Mit diesem marktwirtschaftlichen Modell soll flexibler auf neue technische Entwicklungen reagiert werden können. Außerdem sollen Einigungen über die Vergütungszahlungen zügiger zustande kommen.

Vergütungspflichtig sind in Zukunft alle Geräte und Speichermedien, deren Typ zur Vornahme von zulässigen Vervielfältigungen benutzt wird. Keine Vergütungspflicht besteht für Geräte, in denen zwar ein digitaler, theoretisch für Vervielfältigungen nutzbarer Speicherchip eingebaut ist, dieser tatsächlich aber ganz anderen Funktionen dient.

Der Gesetzgeber gibt den Beteiligten nur noch einen verbindlichen Rahmen für die Vergütungshöhe vor. Sie soll sich nach dem tatsächlichen Ausmaß der Nutzung bemessen, in dem Geräte und Speichermedien typischer Weise für erlaubte Vervielfältigungen genutzt werden. Dies ist durch empirische Marktuntersuchungen zu ermitteln. Soweit nicht mehr privat kopiert werden kann, weil etwa Kopierschutz oder Digital-Rights-Management-Systeme (DRM) eingesetzt werden, gibt es auch keine pauschale Vergütung. Der Verbraucher wird also nicht doppelt belastet. Zugleich werden auch die Interessen der Hersteller der Geräte und Speichermedien berücksichtigt. Die ursprünglich vorgesehene 5 %-Obergrenze vom Verkaufspreis des Gerätes ist in den Beratungen im Bundestag zwar gestrichen worden. Die wirtschaftlichen Belange der Gerätehersteller werden gleichwohl hinreichend berücksichtigt. Es bleibt dabei, dass deren berechtigte Interessen nicht unzumutbar beeinträchtigt werden dürfen und die Vergütung in einem wirtschaftlich angemessenen Verhältnis zum Preisniveau des Geräts oder Speichermediums stehen muss.

3. Schranken für Wissenschaft und Forschung

Die Novelle erlaubt es öffentlichen Bibliotheken, Museen und Archiven erstmalig, ihre Bestände an elektronischen Leseplätzen zu zeigen. Damit behalten diese Einrichtungen Anschluss an die neuen Medien. Die Medienkompetenz der Bevölkerung wird gestärkt. Neu ist auch, dass Bibliotheken auf gesetzlicher Basis Kopien von urheberrechtlich geschützten Werken auf Bestellung anfertigen und versenden dürfen, z.B. per E-Mail. Das dient dem Wissenschaftsstandort Deutschland. Die berechtigten Interessen der Verlage werden dadurch gewahrt, dass diese Nutzungsmöglichkeiten bestimmten Einschränkungen unterliegen. So ist die Anzahl der Vervielfältigungen eines bestimmten Werkes, die an Leseplätzen gleichzeitig gezeigt werden dürfen, grundsätzlich an die Anzahl der Exemplare im Bestand der Einrichtung geknüpft. Nur bei Belastungsspitzen darf darüber hinausgegangen werden. Bibliotheken dürfen Kopien per E-Mail nur dann versenden, wenn der Verlag nicht ein offensichtliches eigenes Online-Angebot zu angemessenen Bedingungen bereithält. Diese Einschränkungen sind zum Schutz des geistigen Eigentums der Verlage und Autoren erforderlich, denn der Gesetzgeber darf keine Regelungen treffen, die es den Verlagen unmöglich machen, ihre Produkte am Markt zu verkaufen.

4. Unbekannte Nutzungsarten

Bisher durften keine Verträge über die Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke in einer Nutzungsart geschlossen werden, die es zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gar nicht gab, z. B. in einem zwischenzeitlich entwickelten Internet. Wollte der Verwerter das Werk auf diese neue Art nutzen, musste er mit viel Aufwand nach Urhebern oder ihren Erben suchen und sich mit ihnen über die Verwertung einigen. Nach dem Gesetzentwurf soll der Urheber über seine Rechte auch für die Zukunft vertraglich verfügen können. Dies liegt nicht nur im Interesse der Verwerter und der Verbraucher, sondern dient auch dem Urheber selbst. Sein Werk bleibt zukünftigen Generationen in neu entwickelten Medien erhalten. Der Urheber wird durch die Neuregelung auch ausreichend geschützt. Er erhält eine gesonderte, angemessene Vergütung, wenn sein Werk in einer neuen Nutzungsart verwertet wird. Außerdem muss der Verwerter den Urheber informieren, bevor er mit der neuartigen Nutzung beginnt. Danach kann der Urheber die Rechtseinräumung binnen drei Monaten widerrufen. Mit einer parallelen Regelung wird auch die Verwertung schon bestehender Werke, die in Archiven liegen, in neuen Nutzungsarten ermöglicht. Eine Öffnung der Archive liegt auch im Interesse der Allgemeinheit, weil sie gewährleistet, dass Werke aus der jüngeren Vergangenheit in den neuen Medien genutzt werden können und Teil des Kulturlebens bleiben.

Das Gesetz trägt auch den Besonderheiten des Films Rechnung. Dort sind typischerweise zahlreiche Mitwirkende beteiligt. Schon bislang galt deshalb die gesetzliche Vermutung, dass der Filmproduzent im Zweifel das Recht erwarb, den Film in allen bekannten Nutzungsarten zu verwerten. Diese Vermutung wird jetzt auf unbekannte Nutzungsarten ausgedehnt. Im Gegensatz zu anderen Medien haben die Urheber hier aber kein Widerrufsrecht. Das gibt den Produzenten ausreichende Sicherheit beim Erwerb der Rechte und gewährleistet, dass der deutsche Film künftig auch international präsent bleibt.

5. Inkrafttreten

Das Gesetz wird nach Art. 4 am ersten Tag des dritten auf die Verkündung folgenden Kalendermonats in Kraft treten. Voraussichtlich wird dies der 1. Januar 2008 sein. ..."

Quelle: Pressemitteilung des BMJ vom 21.09.2007

12.9.07

Entfernungspauschale - Was der Bundesfinanrminister den Steuerpflichtigen rät

"... Der Gesetzgeber hat entschieden, dass die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ab 1.1.2007 nicht mehr als Werbungskosten anerkannt werden. Deutschland richtet sich damit – wie viele andere europäische Staaten auch – nach dem so genannten „Werkstorprinzip“.

Dass dies nicht nur auf Begeisterung stößt, war uns klar – aber eine Regierung, die sich nur nach Umfragen richtet, verliert sich in Beliebigkeit und kann das Ziel der Konsolidierung, das wir doch alle für richtig halten, nicht erreichen.

Für Menschen mit sehr weiten Wegen zur Arbeit haben wir – im Rahmen einer Härtefallregelung – eine Unterstützung vorgesehen, die ab einer Entfernung von 20 km greift. Darunter sind die meisten Fälle übrigens bereits durch den Arbeitsnehmer-Pauschbetrag abgedeckt!

Für Eintragungen von Freibeträgen auf der Lohnsteuerkarte haben die Fachleute von Bund und Ländern nun ein unbürokratisches und schnelles, gleichwohl dem geltenden Recht entsprechendes, Verfahren gefunden.

Steuerpflichtigen, die wegen der Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte beim Finanzamt vorsprechen, wird ermöglicht, ihren Einspruch und ihren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu Protokoll zu erklären. Anschließend wird sogleich im Wege der Aussetzung der Vollziehung der begehrte Freibetrag für die ersten 20 Entfernungskilometer eingetragen.

Damit kann der Bürger diesen bis Ende des Jahres geltend machen, obwohl das Gesetz diesen Anspruch nicht vorsieht. Jeder, der jetzt mit einem Freibetrag arbeiten möchte, muss deshalb wissen, dass er über das Jahr zu wenig Steuern zahlt – dies wird dann mit dem Steuerbescheid ausgeglichen werden.

Bis das BVerfG eine endgültige Entscheidung in dieser Sache getroffen haben wird, werden ESt-Bescheide ab 2007 wegen der Frage der Abschaffung der Entfernungspauschale von Amts wegen für vorläufig erklärt. Der Steuerfall bleibt dann bis zu einer Entscheidung in Karlsruhe insoweit „offen“. Auch dies dient der Vermeidung von unnötiger Bürokratie im Sinne der Bürger.

Die Bundesregierung macht deutlich, dass sie keine Zweifel daran hat, dass sich das Bundesverfassungsgericht der Wertentscheidung des Gesetzgebers anschließen wird und der Übergang zum Werkstorprinzip als verfassungsgemäß anerkannt werden wird. ..."

Quelle: Pressemitteilung des Bundesministerium für Finanzen vom 12.09.2007

Tja, so kann man einen taktischen Rückzug auch verkaufen. Vielleicht ringt man sich ja doch noch zu einer endgültigen politischen Entscheidung durch, bevor das Bundesverfassungsgericht eingreifen muß - schließlich hat zumindest eine der beiden auf Bundesebene regierenden Volksparteien dringenden Bedarf, den Wähler zu locken!

Entfernungspauschale - Finanzministerien geben nach

"... Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die umstrittene Kürzung der Pendlerpauschale sind alle Einkommensteuerbescheide für 2007 zunächst nur vorläufig gültig. ...

Auf die Regelung haben sich Experten der Finanzministerien von Bund und Ländern am Mittwoch geeinigt. Ziel sei die "Vermeidung von unnötiger Bürokratie im Sinne der Bürger", teilte das Bundesfinanzministerium in Berlin mit.

Steuerpflichtige können sich zudem ab sofort beim Finanzamt einen Freibetrag für die ersten 20 Entfernungskilometer zur Arbeitsstätte auf ihrer Lohnsteuerkarte eintragen lassen, obwohl die Pauschale seit Januar erst ab dem 21. Kilometer geltend gemacht werden kann. ..."

Quelle: www.ftd.de

Das ist dann schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. :-)

Entfernungspauschale - Bundesfinanzhof zweifelt an Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung

"...
1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob das ab 2007 geltende Abzugsverbot des § 9 Abs. 2 EStG betreffend Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verfassungsgemäß ist.

2. Ein Beitritt des Bundesministeriums der Finanzen zu einem vor dem Bundesfinanzhof anhängigen Beschwerdeverfahren ist jedenfalls dann unzulässig, wenn es sich um eine Sache wegen Aussetzung der Vollziehung handelt.

EStG 2007 § 9 Abs. 2
FGO § 122 Abs. 2
Beschluss vom 23. August 2007 VI B 42/07
Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 2. März 2007 7 V 21/07 (EFG 2007, 773)

Gründe

I.
Die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) sind Eheleute und an unterschiedlichen Orten nichtselbständig tätig. Mit ihrem Antrag auf Lohnsteuer-Ermäßigung für das Jahr 2007 beantragten sie, Aufwendungen des Ehemannes für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (Entfernungspauschale) als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen, wobei sie die volle Entfernung von 61 km ansetzten. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) ermittelte den Freibetrag entsprechend der ab 2007 geänderten Gesetzeslage nach der um 20 km gekürzten Entfernung. Gegen den insoweit ablehnenden Bescheid über die Lohnsteuer-Ermäßigung 2007 legten die Antragsteller erfolglos Einspruch ein. Ihren Antrag, im Wege der Aussetzung der Vollziehung (AdV) den beantragten Freibetrag vorläufig in voller Höhe einzutragen, lehnte das FA ab.

Das Finanzgericht (FG) gab dem daraufhin bei ihm gestellten Antrag auf AdV statt und ließ die Beschwerde zu. Es bestünden ernstliche Zweifel, ob § 9 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl I S. 1652, BStBl I S. 432) verfassungsgemäß sei, soweit die Vorschrift den steuerlichen Abzug der Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für die ersten 20 km ausschließe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sei der vorläufige Rechtsschutz zwar ausnahmsweise dann einzuschränken, wenn die Gemeinwohlbelange des Staates (etwa durch drohende staatliche Haushaltsnotlage) berührt seien. Anhaltspunkte hierfür seien im Streitfall jedoch nicht erkennbar. Der Aussetzungsbeschluss des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 773 veröffentlicht.

Mit seiner Beschwerde bringt das FA vor, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids sei nicht ernstlich zweifelhaft, da die Neuregelung des § 9 Abs. 2 EStG nicht gegen das Grundgesetz (GG) verstoße. Auch bei Vorliegen ernstlicher Zweifel käme die AdV nicht in Betracht, weil dann das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung höher zu bewerten wäre als das Interesse der Antragsteller an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Antrag auf AdV abzulehnen.

Die Antragsteller beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren sogleich unter Hinweis auf § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten. Der Beitritt des BMF sei auch in Beschwerdeverfahren zulässig und könne wegen der eventuellen Breitenwirkung einer Beschwerdeentscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zweckmäßig sein. Im Streitfall lägen ernstliche Zweifel im Sinne der Vorschriften über die AdV nicht vor, da die Neuregelung des § 9 Abs. 2 EStG mit dem Übergang zum "Werkstorprinzip" nicht verfassungswidrig sei. Selbst wenn ernstliche Zweifel zu bejahen wären, könnte AdV nicht gewährt werden, weil dies eine geordnete Haushaltsführung gefährden würde.

Die Antragsteller halten den Beitritt des BMF zum Beschwerdeverfahren für unzulässig.

II.
Der Beitritt des BMF zu dem Beschwerdeverfahren war abzulehnen.

1. Beteiligter an einem Revisionsverfahren vor dem BFH ist gemäß § 122 Abs. 1 FGO, wer bereits am vorangegangenen Klageverfahren --als Kläger, Beklagter oder Beigeladener-- beteiligt war. Nach § 122 Abs. 2 FGO kann das BMF die Stellung eines am Revisionsverfahren Beteiligten dadurch erlangen, dass es diesem Verfahren beitritt. Ein Beitritt des BMF zu einem Beschwerdeverfahren in einer Aussetzungssache ist nach dem Wortlaut der Vorschrift und ihrer Stellung im Gesetz nicht vorgesehen. Auch Sinn und Zweck des § 122 Abs. 2 FGO erfordern in einer Prozesslage wie der vorliegenden einen Beitritt des BMF nicht. Die Regelung soll es dem BMF ermöglichen, sich jederzeit in ein anhängiges Verfahren über eine Revision einzuschalten und entscheidungserhebliche rechtliche Gesichtspunkte geltend zu machen (BFH-Beschluss vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter B. III.) sowie zur sachgerechten Entscheidung in ein Verfahren Material einzuführen, das sonst nicht oder nur schwer zugänglich wäre (BFH-Urteil vom 2. Juni 1992 VII R 35/90, BFH/NV 1993, 46). Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Erwägungen für andere Beschwerdeverfahren Gültigkeit beanspruchen können. Sie greifen jedenfalls nicht ein, wenn es wie im Streitfall um eine Beschwerde gegen einen Beschluss des FG geht, der eine AdV zum Gegenstand hat. Denn hierbei handelt es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, das --insbesondere bei der vorläufigen Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte-- ein Eilverfahren ist und in der Regel nur die Bewertung erfordert, ob an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts ernstliche Zweifel bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 FGO). Hierfür bedarf es der Beteiligung des BMF nicht. Für eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Revision und damit des § 122 Abs. 2 FGO besteht vor diesem Hintergrund kein Anlass.

2. Der BFH hat allerdings in der Vergangenheit mehrfach in Beschwerdeverfahren entschieden, zu denen das BMF seinen Beitritt erklärt hatte (z.B. Beschlüsse vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454; vom 14. April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637; vom 23. Juni 1993 X B 134/91, BFHE 172, 9, BStBl II 1994, 38; vom 3. Juli 1995 GrS 3/93, BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730). In den genannten Fällen hat der BFH jedoch weder das BMF formell zum Beitritt aufgefordert noch eine Entscheidung zur Zulässigkeit des Beitritts getroffen, sondern diesen jeweils nur faktisch hingenommen. Daran ändert auch nichts die Äußerung in dem Beschluss in BFHE 172, 9, BStBl II 1994, 38, das BMF sei dem (Beschwerde-)Verfahren "gemäß § 122 Abs. 2 FGO beigetreten". Da bisher keine Entscheidungen zu der vorbezeichneten Rechtsfrage vorliegen, ist der beschließende Senat nicht nach § 11 Abs. 2 FGO wegen Divergenz zur Vorlage an den Großen Senat verpflichtet (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 11 Rz 11).

3. Die Ablehnung des unzulässigen Beitritts erfordert im vorliegenden Fall keine Zwischenentscheidung (vgl. bezüglich des Beitritts zum Revisionsverfahren Gräber/Ruban, a.a.O., § 122 Rz 4), sondern erfolgt im Beschwerdeverfahren durch Beschluss.

III.
Die Beschwerde ist unbegründet; sie war daher --ohne Präjudiz für die Hauptsache-- zurückzuweisen (§ 132 FGO). Das FG hat zu Recht im Wege der AdV das FA verpflichtet, den beantragten Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte des Antragstellers einzutragen.

1. Zu den Beträgen, die im Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden können, gehören gemäß § 39a Abs. 1 Nr. 1 EStG Werbungskosten, die bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anfallen, soweit sie den Arbeitnehmer-Pauschbetrag übersteigen. Da nach § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in der ab 2007 geltenden Fassung --im Gegensatz zu der bis dahin bestehenden Gesetzeslage-- die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte grundsätzlich keine Werbungskosten sind und erst ab dem 21. Kilometer der Entfernung "wie Werbungskosten" behandelt werden, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Eintragung der nach der vollen Entfernung berechneten Fahrtaufwendungen auf der Lohnsteuerkarte des Antragstellers nicht vor.

2. Lehnt das FA die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte ganz oder teilweise ab, so handelt es sich dabei um einen vollziehbaren Verwaltungsakt, gegen den vorläufiger Rechtsschutz durch AdV in Betracht kommt (z.B. BFH-Beschluss vom 29. April 1992 VI B 152/91, BFHE 167, 152, BStBl II 1992, 752). Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (§ 361 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung --AO--, § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 FGO). Das ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann der Fall, wenn bei einer summarischen Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die (abgesehen von unklaren Tatfragen) Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage bewirken. Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen; es genügt, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 89, m.w.N.). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im Regelfall die Vollziehung auszusetzen. Das gilt auch dann, wenn ernstliche Zweifel daran bestehen, ob die maßgebliche gesetzliche Regelung verfassungsgemäß ist (BFH-Beschluss vom 3. Februar 2005 I B 208/04, BFHE 209, 204, BStBl II 2005, 351, m.w.N.). An die Zweifel hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit sind keine strengeren Anforderungen zu stellen als beim Einwand fehlerhafter Rechtsanwendung (BFH-Beschluss in BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454).

3. Im Streitfall ist das FG zutreffend von ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs. 2 EStG n.F. ausgegangen, der die Grundlage des angefochtenen Bescheids bildet. Diese Zweifel sind augenscheinlich, da die Frage in der Literatur, wie vom FG in seinem Beschluss wiedergegeben, kontrovers diskutiert wird (vgl. außerdem z.B. v. Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz F 40 ff.; Tipke, Betriebs-Berater --BB-- 2007, 1525; Micker, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2007, 1145 und Wernsmann, DStR 2007, 1149) und in der Rechtsprechung zu unterschiedlichen Entscheidungen geführt hat. Das Niedersächsische FG (Beschluss vom 27. Februar 2007 8 K 549/06, EFG 2007, 690) sowie das FG des Saarlandes (Beschluss vom 22. März 2007 2 K 2442/06, EFG 2007, 853) haben in mit dem Streitfall vergleichbaren Klageverfahren § 9 Abs. 2 EStG n.F. als verfassungswidrig angesehen und nach Art. 100 Abs. 1 GG die Frage dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt (Aktenzeichen des BVerfG 2 BvL 1/07 und 2 BvL 2/07). Dagegen haben --ebenfalls in Verfahren der Lohnsteuer-Ermäßigung-- das FG Baden-Württemberg (Urteil vom 7. März 2007 13 K 283/06), das FG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 23. Mai 2007 1 K 497/06) und das FG Köln (Beschluss vom 29. März 2007 10 K 274/07, EFG 2007, 1090) die Neuregelung der "Pendlerpauschale" als mit dem GG vereinbar beurteilt. Diese Verfahren haben zu Revisionen (VI R 17/07 und VI R 27/07) und einer Beschwerde (VI B 57/07) geführt, die bei dem beschließenden Senat anhängig sind. Da im Schrifttum beachtliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung erhoben werden, einander widersprechende Entscheidungen der Finanzgerichte vorliegen und die Streitfrage höchstrichterlicher Klärung bedarf, ist bereits deshalb das Vorliegen von verfassungsrechtlichen Zweifeln als Voraussetzung der AdV zu bejahen.

4. Der Anspruch der Antragsteller auf effektiven Rechtsschutz tritt nicht hinter das öffentliche Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft zurück.

a) Im Falle von ernstlichen Zweifeln hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift ist nach langjähriger Rechtsprechung des BFH wegen des Geltungsanspruchs jedes verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes als erforderlich angesehen worden. Danach ist eine Interessenabwägung zwischen der einer AdV entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine AdV sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen geboten (z.B. BFH-Beschlüsse vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104; vom 6. November 2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663, m.w.N.). Diese vom BVerfG bestätigte (Beschluss vom 3. April 1992 2 BvR 283/92, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1992, 726) und im Schrifttum überwiegend kritisierte (s. BFH-Beschluss in BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663) Rechtsprechung ist allerdings in jüngerer Zeit dahingehend modifiziert worden, dass die staatlichen Haushaltsinteressen in der Abwägung weniger stark berücksichtigt werden (vgl. Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz 96; Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 361 Rz 14).

b) Der Senat lässt offen, ob er sich der vorgenannten Rechtsprechung anschließen könnte, die ein besonderes Interesse an der AdV als erforderlich ansieht. Denn jedenfalls steht im Streitfall dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller --entgegen der Auffassung des FA-- ein überwiegendes öffentliches Interesse, insbesondere das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung, nicht entgegen. Es ist offensichtlich, dass die Kosten der Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, um deren (vorläufige) steuerliche Anerkennung gestritten wird, jedenfalls nach bisherigem Verständnis für den Antragsteller beruflich veranlasst sind. Sie sind zur Erwerbssicherung unvermeidlich, denn "wenn der Erwerbende sich nicht zu seiner Arbeitsstelle begibt, so verdient er auch nichts" (aus einer Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, zitiert nach Tipke, BB 2007, 1525, 1529). Das insofern nahe liegende Aussetzungsinteresse der Antragsteller wird dadurch verstärkt, dass das BVerfG, falls es im Sinne der oben genannten Vorlagebeschlüsse entscheiden sollte, nach seiner bisherigen Praxis möglicherweise nicht die Nichtigkeit des § 9 Abs. 2 EStG n.F. feststellen, sondern die Vorschrift lediglich als grundgesetzwidrig ansehen und dem Gesetzgeber mit geräumiger Frist eine Änderung für die Zukunft aufgeben könnte. Um demgegenüber den Rechtsschutzanspruch des Antragstellers zurücktreten zu lassen, müsste das --in der Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 2 EStG n.F. genannte-- Ziel der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte auf andere Weise als durch Belastung allein einer Gruppe von Steuerpflichtigen nicht zu erreichen sein. Hierfür liegen dem Senat jedoch für die Prüfung im summarischen Verfahren keine Erkenntnisse vor. Der Hinweis des FA auf die Größenordnung der mit der Neuregelung verbundenen Steuermehreinnahmen ist nicht geeignet, das öffentliche Interesse als vorrangig zu beurteilen. Denn abgesehen davon, dass sich die Einnahmesituation der öffentlichen Hand aufgrund der günstigen wirtschaftlichen Entwicklung --gerichtsbekannt-- derzeit als positiv darstellt, würde der Haushaltsvorbehalt jeden (legislativen) Verfassungsverstoß mit genügender finanzieller Breitenwirkung sanktionieren. Das wäre ein "rechtsstaatlich unerträgliches Ergebnis" (so Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz 97), da im Ergebnis damit der individuelle Rechtsschutz auf der Strecke bleiben würde. Im Übrigen werden durch die Gewährung der AdV Risiken für die öffentliche Haushaltswirtschaft, die mit der Verplanung bzw. Verausgabung möglicherweise verfassungswidriger Steuern verbunden sind, gerade vermieden (Seer, Steuer und Wirtschaft 2001, 3, 17 f., m.w.N.). ..."

(Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23. August 2007, Az. VI B 42/07)

Quelle: Pressemitteilung des Bundesfinanzhofes vom 06.09.2007

11.9.07

Neuer Ausbildungsberuf "Legal Assistant"?

Die Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main hat die Einführung des Ausbildungsberufs "Legal Assistant" vorgeschlagen. Sowohl der Deutsche Anwaltverein als auch der Deutsche Notarverein lehnen diesen Vorschlag ab.